(See english version below)
Das Archiv der deutschsprachigen elektronischen Literatur (ADEL) dokumentiert die Entwicklung der Elektronischen Literatur in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit den 1960er Jahren. Dazu ist in einem ersten Arbeitsschritt eine Datenbank mit den wichtigsten Werken angelegt worden, später sollen auch textgenetische Materialien dokumentiert sowie nicht mehr lauffähige Werke durch Emulatoren nachgebildet werden. Die Bestände werden zum einen über ein webbasiertes Content Management System zugänglich gemacht, zum anderen soll ein Sammlungsschwerpunkt aufgebaut werden, der Hardware, Software, Dokumente, Sekundärliteratur etc. für wissenschaftliche und kuratorische Zwecke bereitstellt. Das ADEL ist ein Projekt der Forschungsstelle Literatur in elektronischen Medien (LEM) an der Universität Siegen. Es ist Mitglied des Consortium on Electronic Literature (CELL) und über die Website www.cellproject.net mit vergleichbaren Archivprojekten in anderen Ländern verbunden.
Was ist ‚Elektronische (Netz-)Literatur‘?
‚Elektronische Literatur‘, ‚Netzliteratur‘ bzw. ‚digitale Literatur‘ werden im ADEL nicht als Sammelbegriffe für alle literarischen Werke verwendet, die in elektronischen Kommunikationsnetzen zugänglich sind. Ein Großteil der im World Wide Web oder auch auf CDs, Disketten oder sonstigen Speichermedien verfügbaren Werke beschränken sich nämlich darauf, biblionome, also buchähnliche Formen in einer digitalen Medienumgebung zu simulieren. In diesen Fällen werden literarische Texte lediglich aus ihren tradierten medialen Zusammenhängen in vernetzte Medien übertragen; an den Texten selbst ändert dies jedoch wenig. Hingegen erfasst das ADEL jene literarischen Projekte, die sich ausschließlich in computerbasierten Medien realisieren lassen. Im Unterschied zur Literatur in biblionomen Medien, bei der in gedruckten Objekten ein abgeschlossener Textzustand gespeichert und übermittelt wird, können in Werken der elektronischen Literatur in der Regel nur zeitbasierte und veränderliche Textkonfigurationen auf unterschiedlichen Displays rezipiert werden. Dabei kommt es zu veränderten Handlungen von Textproduzenten, -vermittlern und -rezipienten, Programmierern, Designern etc. an und mit den Werken (Interaktivität, Telekommunikation etc.), aus denen ein veränderlicher Text entsteht (vgl. Jörgen Schäfer/Peter Gendolla (Hrsg.): Beyond the Screen. Transformations of Literary Structures, Interfaces and Genres. Bielefeld 2010; Roberto Simanowski/Jörgen Schäfer/Peter Gendolla (Hrsg.): Reading Moving Letters. Digital Literature in Research and Teaching: A Handbook. Bielefeld 2010; Peter Gendolla/Jörgen Schäfer (Hrsg.): The Aesthetics of Net Literature. Writing, Reading and Playing in Programmable Media. Bielefeld 2007). Mit den sog. ‚digitalen Medien‘, in die in den letzten Jahren alle vorherigen Medien transformiert oder zumindest integriert worden sind, wirkt Software an allen Kommunikationsprozessen mit. Programme bilden gleichsam das medientechnische ‚Unbewusste‘, dessen Mitwirkung an soziokulturellen Diskursen wiederum von neuen literarischen Formen wahrnehmbar gemacht wird.
Elektronische Literatur im deutschsprachigen Raum
Allerdings setzt sich die Forschung – auch im deutschsprachigen Raum – in den letzten Jahren vorwiegend mit internationalen, vor allem englischsprachigen Werken auseinander. Die eigenständige deutschsprachige elektronische Literatur, die insbesondere in den 1990er Jahren – als beispielsweise die öffentlichkeitswirksamen Pegasus-Wettbewerbe von ZEIT und IBM für Aufmerksamkeit sorgten – sowie im Kontext der experimentellen Literaturen der 1960er Jahre (z.B. die ‚Stuttgarter Gruppe‘ um Max Bense, Reinhard Döhl u.a.) wichtige Impulse geliefert hat, ist hingegen aus dem Fokus gerückt. So ist in dem europäischen Forschungsbericht Electronic Literature Publishing (pdf) (2012) betont worden, dass es insbesondere in der nicht-englischsprachigen elektronischen Literatur erhebliche Informations- und Dokumentationslücken gebe. Nicht zuletzt wegen des raschen technischen Fortschritts von Speicher- und Übertragungsmedien ist zudem die langfristige Verfügbarkeit gefährdet: Frühe Beispiele elektronischer Literatur sind gegenwärtig nicht mehr oder nur noch beschränkt zugänglich, da sie auf technische Medien und Software angewiesen sind, die nicht länger kommerziell vertrieben werden. Die sehr spezifische Entwicklung und der im internationalen Kontext avantgardistische Stellenwert der deutschsprachigen Werke kann daher nicht mehr konkret anhand historischer Beispiele erforscht werden. Ziel des ADEL ist es daher, eine Datenbank aufzubauen, die sowohl einzelne Projekte elektronischer Literatur zu Forschungs- sowie Ausstellungszwecken dokumentiert als auch zu einem Repositorium erweitert werden kann, in dem die literarischen Werke bereitgestellt werden.
Probleme der Archivierung elektronischer Literatur – Ein Ausblick
Die Archivierung elektronischer Literatur steht vor besonderen Herausforderungen: Im Unterschied zur Literatur in biblionomen Werkmedien, die sich – gemeinsam mit textgenetischen Dokumenten, Korrespondenzen, Verlagsunterlagen etc. – problemlos sammeln und dokumentieren lässt, stellt die elektronische Literatur erweiterte Anforderungen an ein Archivierungsvorhaben. Heuristisch lassen sich verschiedene Gruppen identifizieren, deren Archivierbarkeit von jeweils spezifischen Voraussetzungen abhängt (vgl. Beat Suter: Von Theo Lutz zur Netzliteratur Die Entwicklung der deutschsprachigen elektronischen Literatur (pdf), 2010):
1. Digitale Werke, die über XML repräsentiert und über Speicherung in aktuellen Computersystemen reproduziert werden können (z.B. Hyperfictions), lassen sich problemlos archivieren.
2. Werke, die proprietäre Software verwenden, können auf aktuellen Computersystemen meist nicht mehr abgerufen werden. Daher müssen Emulatoren programmiert und bereitgestellt werden. Insbesondere frühe Werke müssen durch eine neue Programmierung des ursprünglichen Codes an aktuelle Computerarchitekturen angepasst werden (‚re-creation by re-coding‘), wofür in künftigen Projektschritten stärkere informatische Unterstützung nötig sein wird.
3. Schwierig und nur indirekt zu archivieren sind solche performativen Werke, die sich mit jeder Nutzung und Vorführung verändern. In literarischen Kunstwerken wie Johannes Auers, Beat Suters und René Bauers SearchSongs (2006) bringt jede Nutzung einen einmaligen Textzustand hervor, der nicht wiederholt werden kann. In diesen Fällen sollen zusätzlich zum Programmcode bildliche oder filmische Dokumentationen historischer Performances recherchiert bzw. erstellt werden.
English Version
The Archive of German-Language Electronic Literature (ADEL) currently is a database documenting the development of electronic literature in Germany, Austria and Switzerland since the 1960s. In a first step, a database with the most important works has been created. At a later stage, text-genetic material is to be added and works that are no longer operational are to be emulated. In addition, a collection of hardware, software, documents, research literature, etc. for scholarly and curatorial purposes is to be established. The ADEL is a project of the Research Unit Literature in Electronic Media (LEM) at the University of Siegen. It is a member of the Consortium on Electronic Literature (CELL) and is linked to comparable archive projects in other countries via the website www.cellproject.net.
What is 'electronic (net) literature'?
In the ADEL, “electronic literature,” “net literature” or “digital literature” are not used as umbrella terms for all literary works that are accessible via electronic communication networks. A large part of the works available on the World Wide Web or on CDs, floppy disks or other storage media are simply simulating print-like forms in a digital media environment. In these cases, literary texts are merely transferred to networked media; however, the texts themselves change very little. In contrast to such works, the ADEL covers those literary projects that can be realized solely in computer-based media: Such works of electronic literature can usually only be read as time-based and variable text configurations on different displays. This also has consequences for the actions of authors, programmers, designers, mediators and readers (see Jörgen Schäfer/Peter Gendolla (eds.): Beyond the Screen. Transformations of Literary Structures, Interfaces and Genres. Bielefeld 2010; Roberto Simanowski/Jörgen Schäfer/Peter Gendolla (eds.): Reading Moving Letters. Digital Literature in Research and Teaching: A Handbook. Bielefeld 2010; Peter Gendolla/Jörgen Schäfer (eds.): The Aesthetics of Net Literature. Writing, Reading and Playing in Programmable Media. Bielefeld 2007).
In recent years, most research on electronic literature – also in German speaking countries – has focused on foreign, mainly English-language works. The European research report Electronic Literature Publishing (2012) emphasized that there were considerable information and documentation gaps in non-English language electronic literature. German-language electronic literature in particular has moved out of focus, although it had attracted significant early attention in the context of the experimental literature of the 1960s (e.g. the 'Stuttgart Group' around Max Bense, Reinhard Döhl and others) and again during the 1990s, e.g. by the high-profile Pegasus competitions of DIE ZEIT and IBM .
Problems of archiving electronic literature – An outlook
Due to the rapid technological progress of storage and transmission media, long-term availability of works of electronic literature is at risk: Early works already are no longer accessible (or only accessible to a limited extent), as they depend on hardware and software that are no longer commercially distributed. The very specific development and the avant-garde status of German-language works in the international context can therefore no longer be researched. The aim of the ADEL is therefore to provide a database that documents works and projects of electronic literature for research and exhibition purposes and that is to be expanded into a repository in which literary works are made available. That said, the archiving of electronic literature faces special challenges: Heuristically, different groups of works can be identified whose archivability depends on specific requirements (cf. Beat Suter: Von Theo Lutz zur Netzliteratur: Die Entwicklung der deutschsprachigen elektronischen Literatur (pdf), 2010):
1. digital works that are represented via XML and can be reproduced via storage in current computer systems (e.g. hyperfictions) can be archived without any problems.
2. works that use proprietary software can usually no longer be retrieved on current computer systems. Therefore, emulators must be programmed and provided. Early works in particular must be adapted to current computer architectures by reprogramming the original code (“re-creation by re-coding”), which will require stronger computer support in future project steps.
3. Difficult and only indirectly to archive are such performative works, which change with every use and presentation. In literary works of art such as SearchSongs (2006) by Swiss artists Johannes Auer, Beat Suter and René Bauer, each instantiation produces a unique text state that cannot be repeated. In these cases, in addition to the program code, pictorial or film documentation of historical performances should be researched or created.