Bei Martin Auers 1996 gestartetem Projekt Storyweb handelt es sich um ein Mitschreibprojekt, das aus der Ablehnung der damals beliebten kollaborativ verfassten Internetromane entstand. Ob „Hypertext-Roman, an dem mitschreiben kann, wer immer vorbeikommt“, oder „kollektiv verfaßte Gedichte – schreib eine Zeile dazu, wenn du Lust hast“, Auer findet diese Experimente „immer enttäuschend, weil sie entweder Spiele ohne allzuviel Tiefgang sind, oder versucht wird, alte literarische Formen, wie eben den Roman, an das neue Medium anzupassen. Aber ein Roman ist eben ein Roman, und das, was einen Roman ausmacht, ist unter anderem, daß er von einer Person verfaßt ist“ (Martin Auer: Storyweb – ein Vorschlag an die literarische Gemeinschaft im WWW). Auer schlägt dagegen ein Storyweb vor – „Ein weltweites Netz von Geschichten – Geschichten im weitesten Sinn“ –, das folgendermaßen funktioniert: „Es fängt an mit einem Text, den ich auf meiner Homepage veröffentliche. Du findest ihn unter dieser URL: (6milliar.htm) Wenn er dich anspricht, bist du eingeladen, darauf zu reagieren. Du bist eingeladen, einen Text zu schaffen, der sich in irgend einer Weise auf meinen Text bezieht. […] Und das ist natürlich die Essenz des ganzen Projekts: die nächsten, die sich beteiligen, sollen natürlich auf deinen Text reagieren. Und so weiter. Und so weiter.“
Auer intendiert eine Autorengemeinde, die nicht gemeinsam an einem Text schreibt, trotzdem aber stärker als etwa die Gemeinschaft in 23:40 oder im Assoziations-Blaster über einen gemeinsamen Text verbunden ist. In der Einleitung heißt es weiter: „Wenn du deinen Text geschrieben hast, lädst du ihn auf deine Homepage und teilst mir das in einem e-mail mit. […] Dann füge ich zu der Seite mit meinem Text ein link zu deinem Text hinzu, und zwar mit dem Titel, den du bestimmt hast. Und dann beginnt der Vorgang von neuem mit deinem Text. Du wirst Links zu den Texten herstellen, die sich auf deinen Text beziehen…“ Das Netz der Geschichten und ihrer Autoren existiert also nicht zentral auf einem Server, wie bei den meisten Mitschreibprojekten, sondern als Kette: Es kommen nicht die Autoren kontaktlos auf einer vom Initiator verwalteten Site zusammen, sondern es kontaktiert ein Autor den vorangegangenen. Dieser Kontakt ist aber – selbst in diesem Fall – nicht konstitutiv. Im Storyweb gehört die Kontaktaufnahme zum Konzept, und sie erfolgt zum Mindesten mit der Bitte der Linksetzung, vielleicht aber auch, um dabei einige Worte mehr zu wechseln und eine Kommunikation zu beginnen, die die Obhut des Projekts bald nicht mehr braucht.
Was die Leser betrifft, so kommen diese nicht zu einer bestimmten Adresse im Netz, sondern werden durch die Welt des Internet geführt. Da jeder Beitrag einen Link zur Storyweb-Homepage aufweist, bleibt diese freilich immer Bezug. Aber auch das geschieht nur, um den Ausgangspunkt zu unterstreichen, nicht, um als Hauptquartier zu dienen, von dem aus man einen alternativen Zugang zu allen Texten hätte. Es werden nur die Beiträge gelinkt, die sich auf den Ausgangstext beziehen, alle Beiträge, die wiederum von diesen Beiträgen inspiriert wurden, sind dann in diesen als Link verzeichnet. Die Texte verbinden sich im Sinne einer Laufkatze, und wie bei einer Laufkatze wird, ist einer der Steine blockiert, die Verbindung unterbrochen.
Diese Blockierung gehört bekanntlich zum Wesen des Mediums. Das Netz ist voll von Links, die auf längst nicht mehr existierende oder umgezogene Sites verweisen und nur Fehlermeldungen hervorrufen. […] Nichts ist sicher im Netz, und natürlich ist auch das Storyweb selbst mit seinen zerbrochenen Verbindungen ein guter Beweis dafür. Auers Utopie der allumfassenden Vernetzung und Berührung, die im Ausgangstext „6 Milliarden Billiardkugeln [sic]“ mit dem Energieaustausch von Billardkugeln verglichen wird, gelangt schnell an ihre Grenzen, wenn nur eine der Kugeln in der Kette die Bewegung nicht weitergibt: Die Autorengemeinschaft ist zerrissen, die globale Vernetzung findet nicht statt. Das heimliche Thema dieses Projekts ist somit nicht die Verbindung, sondern die Unterbrechung. Und insofern ist Storyweb dem Netz freilich gerade in seiner fehlerhaften Konstruktion völlig angemessen: Es verweist auf die verlorenen Texte, auf die Fragilität der Online-Gemeinschaft, es kommuniziert die Brüchigkeit digitaler Kommunikation. Bemerkenswert ist dieses Projekt vor allem aus der Perspektive, daß die erklärte Absicht an der Realität scheitert und somit dieses Projekt der Gruppenbildung im Netz gerade das flüchtige, unzuverlässige Gruppengefühl in diesem Medium offenbart: Jeder gebrochene Link ist Indiz entweder für einen Austritt aus der Webgemeinde – wenn die gesuchte Website nicht mehr existiert – oder – wenn die Website umgezogen ist – für mangelhafte Motivation, im Interesse des Projekts die neue Adresse mitzuteilen.
Quelle: Roberto Simanowski: Interfictions. Vom Schreiben im Netz. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 55-57.
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