Texte aus der Maschine ist ein alter Traum. Was im Barock auf kleinliche Kombinationsspiele hinauslief und mit dem Cut-up-Verfahren schon Literaturgeschichte machte, erhält durch den Computer einen ungeheuren Schwung. Als Poesie gewinnt sowas sogar Preise. Funktionieren grammatisch richtige, semantisch sinnlose Texte auch als Prosa? Kruses Text-O-Mat beantwortet die Frage, indem er ihr ausweicht. Statt maschinell erstellter Texte finden wir gebastelte Vorlagen mit kleinen Variationen. Schemaliteratur, die aus ganz unerwarteter Richtung zur harten Nuss wird, in die auch Italo Calvino, Oscar Wilde und Novalis verwickelt sind.
Eckard Kruses Text-O-Mat von 2002 tritt mit einem Versprechen auf, das nur ironisch genommen werden kann: "Wir beglückwünschen Sie zum Erwerb des Text-O-Mat - der Lösung Ihrer Literaturprobleme." In der Gebrauchsanweisung heisst es dann nüchtern geschäftig: "Damit das Ergebnis ein für Sie maßgeschneiderter und allen Ihren Wünschen gerecht werdender Text ist, muss der Text-O-Mat vorab mit Hilfe eines Persönlichkeitsabgleichs auf Ihre literarischen Vorlieben kalibriert werden." Die Abfragesektionen, die der Eingabe des eigenen Namens folgen, verlangen dann vom Leser, durch das Anklicken verschiedener Regler zwischen den angebotenen drei Alternativen (Zwischenpositionen sind möglich) zu wählen: Genre (nur die Liebe zählt; nichts ist spannender als der Alltag; Verbrechen lohnen sich), Happy End? (Am besten ein, zwei Weltuntergänge, aber zumindest ein tragisches Ende der Hauptpersonen; Alles ist möglich und am Ende ist man so schlau wie vorher; Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende), Action (0-2, 3-6, 7-9 Actionelemente), Zeitraum (Wochen; Monate; Jahre), Stil (Ein reichhaltiger, sinnlicher, wohlgestalteter Text lebt von farbig-duftig-würzigen, bald hier, bald dort eingestreuten Adjektiven; Adjektive sind wie das Salz in der Suppe - zuviel schmeckt nicht; Kampf dem Beiwort!), Geschwätzigkeit (Knapp; Es darf auch etwas mehr sein; Redundanz kenne ich nicht, Redundanz ist mir unbekannt, Redundanz ist mir fremd)
"Nach Abschluss des Persönlichkeitsabgleichs", so das anschließende Versprechen, "erhalten Sie Ihren nur für Sie geschriebenen - man könnte fast sagen: von Ihnen geschriebenen - Wunschtext. Er ist so einzigartig wie Sie selbst." Bevor der Text nach den Wahlangaben erstelölt wird heisst es noch einmal: "Der Text wird ausschließlich aufgrund Ihrer Vorgaben und des vom Text-O-Mat aufgenommenen Persönlichkeitsprofils berechnet. Sollte er Ihnen nicht gefallen, bedenken Sie: Der Text-O-Mat kann dafür ebenso wenig wie ein Spiegel, der ein unerfreuliches Gesicht zeigt!"
(…) Wenn der Text-O-Mat den maßgeschneiderten Text verspricht, bewegt er sich bereits auf der Reflexionsebene der Ironisierung, denn das Maßschneidern basiert unverkennbar auf vorangegangener Schematisierung. Die sechs Auswahlsektionen bezeichnen und begrenzen das Angebot der Bauteile, die vielfältig, aber doch in einem recht engen Rahmen kombiniert werden können. So stellt man sich die Produktion von Heftchenromanen und Filmen beim Fernsehen (und auch beim Kino) vor. Durch diese Schematisierung findet die Automatisierung der Textproduktion auch ohne Text-O-Mat längst statt. Ziel und Ergebnis dieser Automatisierung sind freilich nicht mehr die Überwindung menschlicher Kreativitätsgrenzen, sondern im Gegenteil die Austreibung des Ungewöhnlichen, Befremdenden aus dem Schreiben. Die Kulturindustrie verlangt, dass Erwartungen nicht durchbrochen, sondern bestätigt werden. Wenn der Text-O-Mat mit dem Spruch "Geschichten wie das Leben sie schreibt" wirbt, lässt er zugleich keinen Zweifel daran, dass es das Leben aus Sicht der Massenliteraturproduktionsfirmen ist.
Simanowski, Roberto. "Automaten-Manierismus und narrative Schemata. Eckard Kruses Text-O-Mat." (2003).