In bezug auf computergenuine Literaturformen und Präsentationsweisen gilt unser Interesse jenen poetischen Praktiken, deren konzeptuelle Grundlegung dem durch das neue Medium veränderten Textbegriff Rechnung trägt und die das medienspezifische Statut des Textes als produktionsästhetische Kategorie zur Entfaltung bringen sowie dieses zugleich auch reflektieren: auf der Folie der Transformationen von Autor, Leser und deren Relation, den Wahrnehmungs- und Reflexionsweisen von aktueller (neu-medialer) Wirklichkeit und des sich darauf beziehenden theoretischen Diskurses. Den engeren Bezugsrahmen für die eigene Positionierung und für die Konzeptgenese bildeten weniger Fragen nach der chiptechnischen Machbarkeit bislang noch nicht erdachter oder realisierter textueller Inszenierungen, auch nicht primär solche nach dem Verlauf der derzeit im Cyberspace stattfindenden Experimente mit, bzw. Erkundungen nach den computer- oder netzadäquaten Schreibhaltungen und -praktiken. Das Experimentierfeld für unser das "neue" Medium im Produktionsprozeß selbst thematisierendes Text-Environment wollen wir durch die Fokussierung auf die medienspezifischen Transformationen einer textuellen Kategorie definieren, um gerade durch diese Selektion einen Ereignisraum mit sich auf vielfache und vielfältige Weise öffnenden Präsentationsflächen zu schaffen. Während der gedruckte (oder anderswie fixierte, auch nicht lineare, z.B. collagierte) Text ein einziges (Makro)Syntagma (oder nur eine geringe Anzahl an Sequentierungsmöglichkeiten) aktualisiert, ermöglicht eine freie Verknüpfungspraxis von einer Anzahl n von Textsequenzen n! syntaktische Kombinationsmöglichkeiten - und somit ebensoviele Lesarten eines im Verhältnis dazu verschwindend kleinen Samples von Textpartikeln. Der Übertragung dieser oder ähnlicher Gesetzmäßigkeiten von Zahlen auf poetische Konzepte verdankt sich die Erfindung einer Reihe von literarischen Kombinatoriken, verwirklichten und virtuellen Poesiemaschinen oder Maschinentexten quer durch verschiedene Literaturgeschichten. Sie alle scheinen den Zufall zum poetischen Kalkül zu erheben, ob in Gang gesetzt als zeilenweise blätterbares Buch (R. Queneau) oder als frei mischbarer Satz von Karten (M. Saporta). Auf exzentrische Weise thematisieren sie die Bedingungen ihres Speichermediums und beziehen daraus ihre poetische Kraft. Diese geht verloren, verwendet man ihre Verfahren für eine vom Chip in Antrieb gesetzte Textmaschine; wendet man hingegen das solchen Büchern zugrundeliegende Prinzip und überträgt nun dieses andere auf den Chip, verfährt man im Sinn von deren "Konstrukteuren" und setzt neue poetische Wirkungspotentiale frei.
Als Textbasis für unser Environment dient die Prosa "Wenn die Landschaft aufhört" von Dieter Sperl. Mit dieser wird eine für unsere Zwecke designte Anwendung gespeist. Sperls Text setzt sich aus 45 interpunktionslosen, miteinander in jeder beliebigen Folge kombinierbaren Textsequenzen zusammen; diese werden in Form von Textbausteinen, die durch einen Zufallsgenerator in stets anderer Reihenfolge zu immer neuen Fließtexten "gesampelt". Eine Protokolldatei registriert die bereits realisierten Kombinationen; diese scheiden für den weiteren Verlauf aus. Während der gesamten Dauer der Ausstellung werden die sich neu aktualisierenden Bausteinkombinationen als in Bewegung befindlicher Textfluß am Schirm/im Raum projiziert. Im gleitenden Scroll-Modus präsentiert sich die fortwährende maschinenpoetische Schreib- bzw. Lesebewegung, setzt den jeweiligen Text, der nur im Arbeitsspeicher existiert, seinem Ereignis aus: Der Besucher, registrierender Leser, eine Laufschrift-Animation. Einen allgemeinen Zugriff auf die Textsamples und das Programm der Textmaschine bietet die Web-Präsentation unseres Projekts; für eine beschränkte Anzahl von Besuchern der Ausstellung (und zwar für jeden hundertsten - dieser Anteil entspricht nach aktuellerem Mikrozensus in etwa dem Anteil der österreichischen Bevölkerung, der sich für Gegenwartsliteratur interessiert) wird jeweils ein "individuelles" Sampling als Buch gedruckt.
"wenn die landschaft aufhört“ generiert ständig Bilder, Gedanken, Szenen und nimmt diese Bedeutungen durch den ständig anwesenden Fluss gleichsam wieder zurück, hält ihn in Schwebe, nahe der Leerheit aller Dinge, aber zugleich immer ganz im Leben (die verwendeten Samples stammen aus verschiedenen Sprachfeldern): Konstruktion – Dekonstruktion – Fluss – Leerheit sind die Parameter dieser Anwendung. (Kunstradio, ORF)
In der computergesteuerten Textmaschine "Wenn die Landschaft aufhört" - versuchte Sperl einen künstlichen Bewusstseinsstrom in Gang zu setzen (Pechmann).