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Logbuch einer gemeinsamen Reise

Submitted by lemadmin on Tue, 05/05/2015 - 02:00
Klassifikation | Classification
Autor(en) | Author(s)
Auer, Johannes
Link zum archivierten Werk | Link to archived work
Jahr der Erstveröffentlichung | Year of original publication
2002
Sprache(n) | Language(s)
Deutsch
Autoren-Webseite(n) | Author's website(s)
Screenshots
Deutsche Beschreibung | German description

Entscheidet man sich in einem sozialen Gefüge für eine gemeinsame Reise, so wird der Reiseweg und das Ziel meist gemeinsam ausgewählt. Dabei enthält ein Reisetagebuch meist Informationen über die verschiedenen Reisewege die datiert sind und das Erlebte dokumentieren. Oft wird auch ein Ausblick darüber gegeben, wohin die Reise hin geht.

Anders als in einem gewöhnlichen Reisetagebuch, wird Auers Logbuch von Algorithmen geschrieben, die nicht nur den "Reiseweg" und die "Reisemittel", sondern auch andere Merkmale preis geben. Wie an einem Grenzübergang „filzen“ die Algorithmen den Leser beim Antritt der Reise und dokumentieren im Logbuch das Folgende: die IP-Adresse des Lesers, das Ankunftsdatum, den vom Leser benutzten Browsertypen und seiner Systemvoraussetzungen als Reisemittel (oder „Auge, Ohr, Gehilfe“), den Ort der letzten Rast, sowie die Heimatsprache des Lesers.

Eingeleitet mit den Worten „Danke für Deinen Eintrag ins Log-Buch//du schriebst für uns auf“ erscheinen die Daten des Lesers beim Eintritt auf der Webseite des Werks auf dem Bildschirm:

woher du kommst: 195.93.74.7
die Ankunftszeit: 04.03.2003 um 11:51:49
wie du reist: Mozilla/4.0 (compatible; MSIE 5.5; AOL 7.0; Windows 98; Win 9x 4.90)
deine letzte Rast: http://auer.netzliteratur.net/web.htm
deine Heimatsprache: de-de

Der dazu gehörige Logbuch-Eintrag lautet:

195.93.74.7 ist das Zuhause. Am 04.03.2003 um 11:51:49 kam ich an. Mozilla/4.0 (compatible; MSIE 5.5; AOL 7.0; Windows 98; Win 9x 4.90) ist mein Auge, Ohr, Gehilfe. Von http://auer.netzliteratur.net/web.htm kam ich her. de ist meine Muttersprache.

Ohne gegenseitigem Einvernehmen über sowohl die „Reise“ und die damit verbundenen Datenübertragungen ins öffentlich dokumentierte Logbuch, wird der Leser als derjenige dargestellt, der die Daten vermeintlich autorisiert, dokumentiert und übermittelt hat. Der „Autor“ des Eintrags ins Logbuch ist allerdings nicht der Leser. Vielmehr generiert und veröffentlicht der von Auer geschriebene Algorithmus die Daten des Lesers auf dem Bildschirm. Die Reise und das unfreiwillige Einvernehmen des Lesers beginnen also mit Klick auf die Webseite. Am Ende des Eintrags wird dem Leser allerdings frei gestellt, noch weitere Informationen mitzuteilen. Das Logbuch selbst ist eine nach Datum gespeicherte und geordnete Übersicht von bereits gesammelten Logfiles, die in seiner Gesamtheit darstellen, wann Leser mittels welches Systems, Browsers und der jeweiligen Spracheinstellungen, sowie über welche Webseite den Weg zum Werk gefunden haben.

Indirekt bietet das Werk die Möglichkeit, mehr über die Leserschaft von Netzliteratur zu erfahren. Zielführend setzt sich Auer mit dem „Logbuch einer gemeinsamen Reise“ jedoch kritisch mit dem Leser als gläsernen Menschen im Web auseinander. Obwohl es eher um algorithmisch generierte Maschinendaten geht, die nicht die Privatsphäre eines Individuums verletzen, zeigt Auer, dass George Orwell’s 1984 nicht an Aktualität verloren hat. Bereits im Jahr 2002 geschaffen, ist das Werk zu Zeiten der in 2018 eingetretenen Datenschutzgrundverordnung der EU als hoch aktueller künstlerischer Kommentar zu verstehen, der diejenigen Konzepte netzliterarischer Projekte spiegelt, die sich Skripten zum Schreiben und Hacken von Texten und Webinhalten bedienen.

Autor der deutschen Beschreibung | Author of German description
Patricia Tomaszek