Man denke an das Glitzern der Sonne auf den Wellen des Wassers. Ein suggestiver, hypnotischer Moment. Man sieht nur diese schimmernden Wasserberge und denkt an nichts. Man fühlt sich angenehm leer, eins mit den Elementen, bevor noch der Sinn in die Welt trat, bevor es Text gab.
Matthias Goldmann hat den Text aufs Wasser gebracht. Auf den Wellen kräuseln sich Silben in Weiß. Die Sonne wurde ersetzt durch Text, aber nicht durch Sinn. Die Silben lauten: buh, mei, je, na, oh, ta, sof. Da es auch ein Ausrufezeichen gibt, muss es sich um einen Satz handeln. Soll man den erkunden? Wie? Man kann das Glitzern anhalten. Zur Navigation heißt es auf der ersten Seite: „maus in der bildschirmmitte: bild steht. maus aus der mitte herausbewegen: bild fließt / dreht, meist in gegenrichtung zur maus. ein mausklick: zur nächsten animation (kann ein paar sekunden dauern)“.
Aber auch das stillgestellte Tableau aus kreisförmigen, z.T. auf dem Kopf stehenden Silben gibt seinen Sinn nicht preis. Und da man die Silben nicht unterschiedlich nebeneinanderlegen kann, bis ein Satz entgegenspringt, ist das Unternehmen recht hoffnungslos. Selten wurde Text so hinterhältig hingehalten und entzogen zugleich. Was zurückbleibt ist ein Gefühl, vergleichbar dem Nachmittag im Boot, wenn man die Sonne sich im Wasser spiegeln sieht und man an nichts bestimmtes denken mag.
Goldmann hat mehr Text-Installationen als diese anzubieten. Im nächsten Text empfängt einen der Satz: „säuberlich gefaltet schwimmt das gehirn in der großen waschmaschine der worte namen drehen hinaus und fallen herein. man erkennt sie auf den ersten blick nicht wieder in den anderen teilen der zeitung. beim frühstück würfelt die neugier mit ihnen kurzhoroskope. nach dem kaffee suchen sie wieder das weite.“
An der Maus klebt das Wort der aus dem ersten Satz. Man will es in seine Lücke einsetzen. Aber auf dem Weg dahin, über die anderen Zeilen, bleibt das Wort an einem anderen kleben. Jetzt hängt dieses andere am Cursor, während das zurückgelassene ein bisschen verrückt zur Zeile stehenbleibt, die nun keinen rechten Sinn mehr ergibt. So auch beim nächsten Cursor-Text-Kontakt. Immer lässt der Maus-Magnet das aktuelle Wort fallen und greift sich ein neues. Man kann sich vorstellen, wie schnell man das schönste Chaos hat.
Das ist nicht mehr der Sonntagnachmittag auf dem Wasser, das ist William S. Burroughs’ Cut-Up-Ästhetik ganz ohne Messer und Schere. Und wie bekommt man aus dem Chaos wieder einen ordentlichen Satz? In der Bildmitte befindet sich eine weiße Linie. Hier kann man dem Cursor-Magnet den Strom abschalten, wenn man ihn nach unten wegzieht. Das aktuelle Wort bleibt auf der Linie zurück. Mit leerem Greifarm kann man dann ein anderes Wort gezielt aus dem Textchaos picken und auf dieser Linie absetzen, bis man einen Satz nach eigener Wahl gebildet hat. Es ist ein Puzzelspiel mit Textfetzen. Benennung wird so schwer wie an ihrem ersten Anfang.
Der nächste Klick bringt alle Wörter nochmals durcheinander, lässt sie in ein Bild fließen, das sich über den Bildschirm bewegt und allmählich Gestalt und Farbe ändert. Auch hier also ist Signifikation nicht sicher: „Die Wasserfläche des Bildschirms reduziert das Geschriebene auf einen Augenblick des Schreibens, es hat kein Gedächtnis“, so der Autor: „Der Bildschirm entspricht einer Sehnsucht nach der Beweglichkeit und Wiederbeschreibbarkeit des Wassers. Das Sich-hingezogen-Fühlen zum Monitor, das Hineintauchen in die Netzwerke und das weltweite Fließen der Bilder und Verwandlungen, das Hin-und-zurück der Gedanken und Wortbildungen entspricht im Sinne des ‚Schreibens auf Wasser‘ einer Sehnsucht des Bewusstseins nach sich selbst und seinen Anfängen.“
Es folgen andere Beispiele bewegter Texte – die „random four letter word machine“ – und schließlich gar lesbare Texte, ein Theorietext, ein Erinnerungstext, der die nebenstehenden Fotos scannt wie die Flughafenapparate die Koffer der Reisenden. Als verberge sich unter ihrer Oberfläche die eigentliche Wahrheit.
Was sich unter der Oberfläche des Bildschirms verbirgt, das machen alle Beispiele in Goldmanns Werk klar, ist die Zeit, die Texten und Bildern per Programmierung mitgegeben wurde. Und mit der Zeit sind wir wieder beim Wasser: Panta rhei, sagten die Griechen, alles fließt, weswegen man auch nicht zweimal in denselben Fluss steigen könne. Bei Goldmann gilt: Du kannst nicht zweimal den gleichen Text lesen, nicht, wenn er auf Wasser geschrieben ist.
Quelle: Roberto Simanowski (Hrsg.): Literatur.digital. Formen und Wege einer neuen Literatur. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2002, S. 150-152.